«Es braucht einen klaren Auftrag»

«Es braucht einen klaren Auftrag»

VR-PRAXIS-Persönlich im Gespräch mit URS EGLI – Ein Verwaltungsrat ohne Auftrag kann sich ein Unternehmen sparen, sagt Urs Egli. Der Verwaltungsrat und Rechtsanwalt ist bei der Auswahl seiner Mandate selektiv geworden. Fehlt eine klare Strategie, lehnt er ein Angebot auch mal dankend ab.


Gespräch mit CHRISTOPH HILBER UND ROMAN BRAUCHLI
Download des Interviews als PDF. Auch auf www.unternehmerzeitung.ch/VR-Praxis Heft 12/2017 und www.moneycab.com veröffentlicht.


Herr Egli, Sie sind Spezialist für IT-Recht. Was fasziniert Sie an diesem Gebiet?
Ich bin völlig zufällig in diesem Gebiet gelandet – durch ein Stelleninserat für meinen ersten Job in einer IT-Firma. Heute arbeite ich sehr gerne in diesem Bereich, denn die IT spielt in sehr viele Lebensbereiche hinein. Als Anwalt berate ich unterschiedlichste Unternehmen, und die IT ist der gemeinsame Nenner.

Wieso hat es in jedem VR einen Juristen?

Ist das so? Ich würde zwei Gruppen von Unternehmen bilden. Bei Grosskonzernen sind in den Verwaltungsräten häufig Juristen anzutreffen. Vielfach sind das aber solche Juristen, welche nicht eine klassische Juristenlaufbahn absolviert haben, sondern die irgendwann ins Management wechselten. Vor allem bei den Banken sieht man das häufig. Dann gibt es eine zweite Kategorie. In KMU gab es früher viele «Blindflug»-Verwaltungsräte: Man brauchte vielleicht einen Schweizer oder einen sonstigen Interessenvertreter. Es war aber nicht gewünscht, dass sich diese Personen im VR-Gremium aktiv einbringen. Für solche Aufgaben bieten sich Juristen an. Dann ging man – wenn es hoch kommt – ein-, zweimal im Jahr an Sitzungen und hat die Protokolle unterschrieben. Dadurch ging man ein sehr hohes Risiko ein. Als VR hat man eine klar umschriebene Verantwortung. Man haftet letztlich mit seinem privaten Vermögen.

Wird das Risiko des VR nicht überbewertet?

Solange ich das Risiko verstehe und mich adäquat verhalte, passiert nichts. Ich muss aber sorgfältig arbeiten. «Blindflug»-Vewaltungsräte hingegen leben gefährlich.

Sorgfältig heisst aber nicht, dass man im VR zwingend das ganze Geschäft verstehen muss. Das Risiko der persönlichen solidarischen Haftung ist doch an bestimmte Bereiche gebunden, Sozialabgaben, Löhne etc.
Die Haftung für Sozialabgaben ist sicher ein häufiger Anwendungsfall. Die persönliche Haftung geht aber weiter. Eigentlich haftet man für jede Art von Schulden. Allerdings realisiert sich diese Haftung meistens erst im Konkursfall – und auch nur dann, wenn Geld vorhanden ist. Wenn kein Geld da ist, passiert nichts. Der schlimmste Fall für einen VR ist ein Fall wie der Swissair-Konkurs, wo genug Geld vorhanden war, um die Konkursverwalter zu bezahlen, die ja häufig auch Anwälte sind. Dann werden von der Konkursverwaltung häufig Haftungsklagen gegen Verwaltungsräte erhoben, die sich über Jahre hinziehen.

Werden Anwälte rekrutiert, weil sie sich mit der Compliance auskennen?
Es ist sicher gut, wenn im VR juristische Kompetenzen vorhanden sind, aber grundsätzlich könnte das auch ein Rechtsdienst oder ein externer Berater abdecken. Aber es stimmt schon: Die regulatorischen Vorgaben werden immer komplizierter. Das spricht dafür, dass man einen Juristen in den VR holt.

Wie gross ist die Gefahr, dass man als Jurist für eine Gratisberatung missbraucht wird?
Das ist kein Problem. Selbstverständlich gebe ich im VR Auskunft, wenn ich in einem Thema kompetent bin. Wenn es aber aufwendigere Abklärungen braucht, dann ist immer klar, dass es sich um ein separates Mandat handelt.

Wieso wollen ausgerechnet CEOs, die das Risiko und die Funktion kennen, nach ihrer Karriere VR werden?
Vielleicht weil es weniger stressig ist als eine operative Aufgabe? Spass beiseite: Es ist sinnvoll, wenn erfahrene Manager gegen das Karriereende hin eine strategische Aufgabe wahrnehmen und ihr Wissen weitergeben wollen.

Die meisten Unternehmen zahlen zwischen 15 000 und 20 000 Franken im Jahr für ein VR-Mandat. Ist das nicht zu wenig Geld für ein solches Risiko?
Nein, das denke ich nicht. Vom Zeitaufwand her ist man vielleicht während sechs Tagen im Jahr engagiert für VR-Sitzungen und einen Strategieworkshop. Es braucht auch keine Infrastruktur, den Job kann man mit Handy und Laptop erledigen. Und das Risiko kann man ja versichern lassen.

Das tönt jetzt etwas passiv. Braucht es einen VR, der so operiert, überhaupt?
Das ist ein guter Punkt. Ein VR sollte ja nicht nur verwalten, sondern das Unternehmen weiterbringen. Wenn mich jemand fragt, ob ich VR werden will, dann frage ich immer, wieso er mich braucht. Ich als Jurist komme häufig in Unternehmen hinein, bei denen sich eine Nachfolge abzeichnet. Dann ist ein Jurist wertvoll, dann kann ich einen

Urs Egli

«BEI EINER DORFGARAGE IST EIN EXTERNER VR EIN VÖLLIGER OVERKILL»

Beitrag leisten. Wenn der Eigentümer aber sein Geschäft expandieren will, dann bin ich nicht der Richtige. Dann braucht er jemanden mit Markterfahrung. Eine Nachfolgeregelung nimmt maximal fünf Jahre in Anspruch, und dann müssten Sie zurücktreten. Wenn der Nachfolger kommt, dann ist das Unternehmen in einer völlig anderen Entwicklungsstufe. Vielleicht braucht es gar keinen VR mehr – bei einer Integration in einen Konzern – oder einen anderen. Das finde ich einen wichtigen Gedanken: Als VR ist man immer in einer bestimmten Phase eines Unternehmens und für eine bestimmte Aufgabe da. Als Eigentümer eines Unternehmens sollte man sich immer wieder überlegen: Ist mein VR noch richtig zusammengesetzt?

Passiert das?
Viel zu wenig. Wenn sich Strategie oder Marktverhältnisse ändern, sollte der VR seine Zusammensetzung überdenken. Diese Selbstreflexion und vor allem die Umsetzung der daraus abgeleiteten Konsequenzen fallen oft schwer. Man sollte bei der VR-Besetzung aufgabenbezogen vorgehen. Ein VR-Mandat ist nicht in Stein gemeisselt, das ist ein temporäres Assignment. Man ist für eine bestimmte Aufgabe da, hat einen Auftrag der Eigentümer, der Aktionäre. Als Anwalt verstehe ich sehr gut, was auftragsbezogenes Arbeiten ist. Das ist wichtig: Es geht nicht um mich, es geht um die Bedürfnisse der Auftraggeber.

Bei vielen Firmen ist nach wie vor der CEO gleichzeitig der VRP und der Inhaber. Wann sollte eine Firma einen richtigen, externen VR einsetzen?
Das ergibt dann Sinn, wenn es einen speziellen Auftrag gibt wie beispielsweise die Nachfolgeregelung oder eine Expansion, das heisst, wenn man eine Kompetenz entwickeln will, die man noch nicht hat. Man muss aber eine klare Vorstellung haben, wohin man will. Bei einer klassischen Dorfgarage ist es ein völliger Overkill, einen externen VR zu installieren. Aber wenn man eine Firma von einer Person lösen will, dann ist ein externer VR super. Aber das sind langfristige Projekte. Eine Nachfolgeregelung macht man nicht erst, wenn man schon 60 ist.

Was halten Sie von einem VR, in dem die halbe Familie sitzt?
Mir begegnen solche Konstellationen meistens in Zusammenhang mit Streitfällen. Solche VRs sind natürlich Pulverfässer. Dann vermischen sich Emotionen, Familienbeziehungen und Erbschaftsthemen mit Geschäftskompetenzen. Das ist nicht lustig. Solche Themen sollten nicht in die Firma hineingetragen werden.

Sie sagen, dass ein externer VR nur dann sinnvoll, wenn er einen spezifischen Auftrag hat. Sonst genügt es, wenn der Patron im VR ist. Ergibt es dann überhaupt Sinn, für 5000 Franken in den VR zu gehen?
Nein, das ergibt keinen Sinn, das ist höchstens ein Freundschaftsdienst. 5000 Franken sind kein fairer Trade-off für das Mandat. Wenn man nicht im Minimum vier Mal im Jahr an einer Sitzung teilnimmt und zusätzlich einen Strategie-Workshop macht, braucht es keinen VR.

Wie wird man Verwaltungsrat?
Verwaltungsrat wird man nur, wenn man ein Profil und ein gewisses Alter hat und die richtigen Leute kennt. Meine Erfahrung ist, dass man gefragt wird. Die Beziehungen sind schon vorhanden.

Sinn und Zweck des VR ist es doch, die Strategie der Firma für die Zukunft zu formen. Darum ist auch die Zusammensetzung wichtig. Je nach Strategie sind andere Kompetenzen gefragt. Dann müsste man eigentlich eine professionelle Suche starten und die Kollegen zumindest mit einem unbekannten Dritten vergleichen.
Ja. Das passiert aber nicht. Es ist wie beim Anwalt: Man wählt ihn selten nach den Kompetenzen aus, sondern weil man ihn schon kennt.

Sollte die Suche nicht anders ablaufen?
Ja, das sollte sie wohl.

Eine Schlussfrage: Wenn heute Weihnachten wäre, was wäre Ihr Wunsch als VR?
Ein tolles VR-Mandat mit einem klaren Auftrag, in das ich meine Kompetenzen einbringen kann. Ich mache die Arbeit gerne, solange ich einen Beitrag leisten kann.

Zur Person
Urs Egli, Dr. iur., ist Rechtsanwalt und Partner bei epartners Rechtsanwälte AG in Zürich. Er ist im Verwaltungsrat der BDK Informatik AG und der uniQservice AG sowie Verwaltungsratspräsident der Stromwerk AG. Als Anwalt deckt Urs Egli das gesamte Wirtschaftsrecht ab und ist spezialisiert auf die Bereiche IT und Industrie.


Als Managing Partner von P-Connect arbeitet Christoph Hilber im Rahmen des Executive Search auf Stufe Verwaltungsrat / Verwaltungsrätin mit der Unternehmerzeitung in der Rubrik VR-Praxis / Verwaltungsrat persönlich zusammen. Die Gespräche werden alle persönlich geführt.