70 und ein bisschen weiser?

70 und ein bisschen weiser?

GRAUE EMINENZEN – Die Führungscrews in kotierten Unternehmen werden immer älter. Dies zeigen Umfragen von Rekrutierungsfirmen aus den USA und der Schweiz*. Der CEO einer grossen Rückversicherung empfiehlt die Anhebung des Pensionsalters auf 70 Jahre. Was bedeutet dies für die «Demographie des Unternehmens»?

VR-Praxis 06/2016; TEXT CHRISTOPH HILBER
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Auch auf www.unternehmerzeitung.ch veröffentlicht.

Die Rekrutierungsfirmen begründen die Entwicklung mit der Einsicht, dass die Erfahrung mit steigendem Alter an Qualität gewinnt und Unternehmen zunehmend darauf setzen. Ob dieselbe Einsicht auch bei Spezialisten und Mitarbeitenden angebracht wäre? Ist die Weisheit der Erfahrung auf Managementebene wichtiger als auf Stufe Fachkraft? Eine Studie dazu ist mir nicht bekannt und die allgemeine Diskussion zur Arbeitslosigkeit mit 50+, mittlerweile sogar 45+, deutet darauf hin, dass man diese Studie lieber nicht machen möchte.

Die Versicherer (PK) begründen ihre Forderung mit dem demografischen Wandel, also mit der grösser werdenden Altersgruppe 65+, der Fitness dieser Gruppe und der damit verbundenen höheren Lebenserwartung – und der gefährlichen Strapazierung der PK-Fonds. Die logische Konsequenz beider Aussagen könnte sein: Die aktuellen Verwaltungsräte bleiben fünf Jahre länger im Amt. Gemäss Schilling Report 2015 bedeutet dies die Zunahme des Durchschnittsalters der Verwaltungsräte von 59 auf 64 Jahre – wohlgemerkt Durchschnittsalter. Daraus lässt sich ableiten, dass auch die GL-Mitglieder fünf Jahre länger im Dienst bleiben dürften, um danach die frei werdenden Plätze der abtretenden Verwaltungsräte zu besetzen. Das wiederum hat Folgen für die Führungsstufen unterhalb der Geschäftsleitung: Aufstiege werden durch die nun verstopfte Aufstiegspipeline ebenfalls blockiert. Zum Glück zeigt die Demografie, dass weniger Junge nachdrängen und auch Führungskraft werden könnten. Zum Glück? Die Ebene der Fachkräfte würde ungeduldig, gewinnt aber dank dem längeren Verbleib in der Expertenrolle an Erfahrung, was dann hoffentlich auch gewürdigt wird.

OPTIONEN
Sicherlich gibt es erfolgreiche und weniger erfolgreiche Ansätze, um dieser Entwicklung organisch Einhalt zu gebieten. Was halten Sie von den nachfolgenden?

ALTERSBESCHRÄNKUNG AUF FÜHRUNGSEBENEN: Verwaltungsräte waren und Geschäftsleitungsmitglieder sind in der Regel in den höchsten Salärbändern zu finden. Liessen sie sich freiwillig nach heutigem Modell pensionieren, würde eine blockierte Nachfolgepipeline verhindert. Gleichzeitig würde sich diese Gruppe voll auf den Konsum konzentrieren können, da sie zur vermögenderen Gesellschaftsschicht zählt. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie aus einem Mangel an finanziellen Mitteln im hohen Alter in der Sozialhilfe landen, ist doch sehr gering.

JUNGE SAMMELN ERFAHRUNG IM AUSLAND: Sind die Führungspositionen besetzt, könnten High-Potential-Mitarbeiter ihre Karriere vermehrt im Ausland fortsetzen. Ein noch besseres Verständnis für andere Kulturen und Märkte wäre die Folge. Eigentlich super, wird intensive Auslanderfahrung für Spitzenpositionen doch vorausgesetzt. Doch kommen sie zur richtigen Zeit auch wieder zurück?

«WÜRDE DAS RENTENALTER UM 5 JAHRE ERHÖHT, STÜNDEN 5 JAHRE MEHR ZEIT AN, VERDRÄNGTES NACHZUHOLEN – FÜR VIELE VIELLEICHT BERUHIGEND.»

NEUE UNTERNEHMENSMODELLE: Grosse Firmen werden kartellrechtlich kritisch, sind führungstechnisch eher schwierig und aus volkswirtschaftlicher Sicht vermehrt systemrelevant. Warum also nicht wieder hin zu kleineren, agileren, übersichtlicheren Unternehmenseinheiten? Das würde den Bedarf an Führungspersönlichkeiten in die Höhe treiben. Der Nebeneffekt: Sie können näher am Business agieren und unternehmerischer in der Verantwortung stehen. Auch könnten die veränderten Erwartungen der Generation Y an das Arbeitsumfeld berücksichtigt werden.

DIGITALISIERUNG: Eine andere Lösung könnte die Digitalisierung bringen, welche uns zwingt, die klassischen, organisatorischen Modi Operandi zu überdenken. Wo «ältere Erfahrung» gegenüber der «jüngeren» an Gewicht verliert, öffnet sich die Nachfolgepipeline.

FAZIT
Man soll die makroökonomischen Entwicklungen in jedem Fall positiv ausnützen und nicht als Gefahr sehen oder ignorieren. Einen Vorteil sieht der Schreibende im Anstieg des Rentenalters auch für die KMU: Viele driften auf die Regelung ihrer Nachfolge zu und geraten bald in Verzug. Würde das Rentenalter um fünf Jahre erhöht, stünden fünf Jahre mehr Zeit an, Verdrängtes nachzuholen – für viele vielleicht beruhigend.

* Quelle: Sonntagszeitung 8.5.2016 / Schilling Report 2016